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Sylke

1988 begann meine Ausbildung zur Technischen Zeichnerin bei VW. Im Januar 1989 hatte ich an einem Freitag das Gefühl das ich etwas im Auge habe, ohne es weg zu bekommen. Der Augenarzt hat nichts gefunden und schickte mich beruhigend nach Hause. Samstagabend war mein Auge fast Blind. Gleich Montag ging ich verzweifelt wieder zu ihm und er prognostizierte eine Sehnerventzündung. Der Neurologe verschrieb mir damals 80 mg Cortison in Tablettenform. Ich erholte mich ziemlich schnell davon. Ein halbes Jahr später schliefen mir plötzlich beide Hände ein und dann bekam ich wieder Cortison. Außerdem mußte ich eine  Lumbalpunktion machen lassen. Mein Neurologe nannte mir damals aber noch kein Ergebnis. Kurz darauf waren auch meine Beine betroffen. Ich ging in die MHH. Nach 7 Tagen und vielen Tests hat man mir endgültig gesagt, daß ich an MS leide. Dies waren allerdings meine letzten Schübe. 10 Jahre hatte ich Ruhe, mir ging es hervorragend. Ich habe diese Jahre Gott sei Dank genutzt und viele Länder dieser Erde bereist. Ich war auf den Malediven, in Thailand, in der Türkei und sehr viel in Ägypten. Dort habe ich die Ozeane betaucht. 

    

                          

Mit dem Sprung ins Wasser und dem Absinken eröffnete sich mir eine andere Welt. Ich war umgeben von vielen bunten Fischen und Korallen. Am schönsten fand ich Steilwände, bei denen man keinen Grund mehr sah. Ich liebte auch die Tiefe, in der der Druck stieg, das Rauschen nahm zu und ich hörte jeden Atemzug lauter. Ich mußte mich schon vorsehen nicht die tiefsten Grenzen zu überschreiten. Besonders aufregend fand ich die Begegnung mit Haien. Gut das ich das alles noch erleben durfte.  Als ich meine letzten Tauchgänge mit Hindernissen noch absolviert habe, bemerkte ich schon das ein höherer Sauerstoffanteil bedingt durch Druck, sich auf meine MS positiv auswirkte. Je tiefer ich tauchte, umso besser konnte ich hinterher Laufen. Leider bin ich erst zu spät auf die Hyperbare Sauerstoff Therapie im Internet gestoßen. Meine Versuche in der Druckammer was zu erreichen waren leider schon zu spät.

Im November 1999 wurde mir wahnsinnig schwindlig, und ich hatte seitdem ein andauerndes Trunkenheitsgefühl. Von nun an hatte ich alle halbe Jahr einen Schub. Alles was ich je befürchtet habe, ist so langsam eingetroffen. Mein Gleichgewicht wurde immer schlechter, meine Sprache wurde unverständlich und der Tremor kam. Im Entdefekt saß ich nicht nur im Rollstuhl, die Kommunikation war anstrengend für mich und beim Essen und Trinken brauchte ich Hilfe. Bei meinem letzten Kuraufenthalt wurde ich dann als Hilflos geschrieben. Ich habe im Laufe der MS alle Therapien mitgemacht (Betaferon, Mitoxantron, hohe Cortisondosen 5x1000 ml). Sogar über einen Hirnschrittmacher gegen meinen Tremor habe ich nachgedacht, aber bin dann doch davor zurückgeschreckt.

Seit Jahren habe ich die Erfahrung gemacht, daß das Wort Hilflos genau das ist, was es aussagt. Obwohl ich damals noch im Rollstuhl saß konnte ich durch meinen Tremor weder alleine essen noch trinken. Ich brauchte sogar Hilfe beim Haarewaschen, Anziehen und geschminkt habe ich mich seitdem auch nicht mehr. Ich war komplett auf die Hilfe meiner Mitmenschen angewiesen. Die mir dann erst durch Manfred zuteil wurde. Wenn man dann schon Bettlägerig ist wird jeder Krankenhausaufenthalt zu einem Horrortrip. Nur mein Mann geht komplett auf meine Bedürfnisse wie Essen,Trinken und Körperpflege ein. Ich bin seit Juni 09 auf den Pflegedienst angewiesen, aber der ist nicht so perfekt wie mein Mann. Es ist scheußlich wenn man nichts mehr richtig bewegen und halten kann und komplett auf die Stütze anderer angewiesen ist. Das Haarewaschen im Bett, in dieser aufgeblasenen Schraubzwinge finde ich furchtbar.

                                                                                 

Das sieht nicht nur schrecklich aus, das ist auch so.

Auch von anderen Leuten sich die Zähneputzen lassen ist kein Vergnügen. Das macht Manfred schon am Besten, obwohl wir uns da auch schon ständig in die Haare kriegen.

Einige Ärzte wollten mich schon am liebsten im Pflegeheim sehen. Aber das wäre mein mentaler Tod. Ich habe schon einmal im Einzelzimmer im Krankenhaus gelegen. Die 24 Stunden kamen mir vor wie eine Ewigkeit. Durch den eigenen Zustand ist man in seinem Körper gefangen. Im Zimmer alleine kann man nur an die Decke starren und hoffen das man einschläft.

Das Jahr 2009 war sowieso die Probe für mich und Manfred schlechthin. Ende April habe ich eine Chemo (Mitoxantron) in der MHH bekommen. Diese habe ich gar nicht vertragen. Sie hat mir dermaßen den Geschmackssinn genommen, sodaß ich nichts mehr essen und trinken wollte. Im Juni bekam ich plötzlich eine Niereninsuffizienz durch den Flüssigkeitsmangel. Die herbeigerufene Hausärztin prophezeite meinem Mann meinen baldigen Tod. Sie wollte mich schon ins Hospiz stecken, aber ich weigerte mich. Am darauffolgenden Tag kam die Ärztin mit der Pflegeschwester völlig besorgt, um zu besprechen wie es nun mit mir weiter gehen soll, doch zum Erstaunen aller hatte sich mein Zustand stark verbessert. Ich bekam längere Zeit einen Tropf und Astronautennahrung. Als sich alles wieder zum Guten wandte kam der nächste Rückschlag, meine Galle mußte entfernt werden. Auch diese OP habe ich überstanden. Als die Narben verheilt waren, mein Geschmackssinn wieder komplett da war mußte ich schon gleich in die Zahnklinik. Die Ärzte wollten mir zwar eine Narkose für die längere Zahn-OP geben aber ich lehnte ab. Erst lag ich eine halbe Stunde auf dem OP-Tisch bis sich endlich ein Zahnarzt fand, der nicht grade umgekippt, oder von Übelkeit geschüttelt war. Zwar wollten sie mich erst auf den nächsten Tag vertrösten, aber ich blieb hartnäckig liegen. Er operierte eine Stunde und lobte meine Tapferkeit. Auf dem Zimmer kam irgendwann noch die Seelsorge um mir Beistand zu leisten. Es machte aber den Anschein das sie selbst hinterher jemanden brauchte, nachdem sie von meinen Schicksalsschlägen gehört hatte. Das war überstanden, nun mußte mir auch noch der große Zehennagel entfernt werden. Nun kämpfe ich täglich an meiner Beweglichkeit um wieder ganz in den Rollstuhl zu kommen und mit Dirk meinen Garten anzulegen. Lisa (meine Krankengymnastin) versucht alles mich aus dem Bett, wieder in den Rollstuhl zu kriegen. Wir arbeiten mit einem Lift und einer Engelsgeduld. Wie es weitergeht werden wir mit Fotos darstellen.

Jetzt saß ich im März 2010 das erste Mal wieder im Rollstuhl und war vor der Tür. Seitdem habe ich wöchentlich mit fremder Hilfe, viel Energie und Freude meinen Garten angelegt. Bilder von mir und der ganzen Aktion möchte ich Euch und mir selber ersparen, denn nach so vielen Medikamenten und langer Unbeweglichkeit ist man nicht mehr die selbe Person. Ich selbst vermeide jeden Blick in den Spiegel.

Kaum das der Herbst anfing ging das Problem mit meinem Zeh wieder weiter. Der Nagel fing langsam an zu wachsen, doch die Entzündung ließ nicht nach. So habe ich mal den Vergleich von Chirurg und "Schlachter" kennen gelernt. Der "Schlachter" kam zu mir nach Hause und meinte den Nagel erstmal ohne Betäubung ziehen zu können. Länger als 5 Minuten konnte er mein Schreien dann doch nicht ertragen, er meinte eine Betäubung wäre vielleicht doch besser. Aber anstatt die Wirkung abzuwarten machte er gleich weiter. Da ihn mein Geschrei nicht weiter beeindruckt hat, ließ er sich von meinem Mann auch noch nach Hause fahren. Aber auch das habe ich überlebt.

Nach der Medikamentenumstellung von Ergonyl Chrono 300 auf Orfiril long 300 ist mein Tremor soweit verbessert worden, daß ich gezielter zugreifen kann. Ich kann mir mittlerweile selbst die Zähne putzen. Meinen damals entzündeten Zeh sprühe ich regelmäßig mit Spenglersan Kolloid G ein. Was bislang eine weitere Entzündung verhindert hat.